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Der Manchurian Kandidat

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DAS POLITDRAMA IM FILM Dietmar Kesten 20.11.04 16:13

DAS POLITDRAMA IM FILM

MIT SICHEL UND GUERILLA

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 20. NOVEMBER 2004.

Die Welt des Italo-Westen ist eine Männerdomäne.
Die Welt des Politfilm ist eine Geschichte der politischen
Kopfgeldjäger. Das eigentliche Ziel der Handlung
ist, sich selbstsicher durch das Abenteuer Politik
zu steuern.
Er ist recht verworren, gleichzeitig bizarr und angereichert
mit unvorhergesehenen Zwischenfällen und Wendungen,
und das vielerorts geschmähte Thema, spektakulär in die
Irre zu führen, wird hier auf die Spitze getrieben, weil
Politik, egal in welcher Form, immer vorgeführt wird und
als verführbar erscheint.
Zu seiner besten Zeit (in den 60er und 70er Jahren)
waren die Macher des Politfilm Linksintellektuelle.
Ob es sich dabei um politischen Italo-Western handelte
(Vgl. „Tötet Amigo“, Regie: Damiano DAMIANI, 1966)
oder um das eigentliche politische Drama
(vgl. „Der unsichtbare Aufstand“ Regie:
Constantin COSTA-GAVRAS, 1972/73), hier ging man
den Weg der symbolischen Sichel. Sie wurde
umgeschmolzen zum politischen Sieg einer nicht
näher definierten gesellschaftlichen Schicht.
Sie war oftmals der Antrieb für den Untergrund, wo
im Nebel des theoretischen Diskurs und
der praktischen Anwendung des Revolutionsgedanken
(Bomben, Entführungen, Erpressungen, Banküberfälle
und Schießereien) die Geschichten von der Machtübernahme
des Staates gestrickt wurden.
Sergio CORBUCCI, der mit „El Mercenario“ (1968)
Aufsehen erregte, ging hier den Weg, die kapitalistische
Misere als unmenschlichen Killer zu bezeichnen.
Und der Bösewicht war in dieser Zeit natürlich die USA
und der Killer ein US-Schauspieler (Jack PALANCE).

Der politische Film machte sich interessanterweise
immer wieder für die mexikanische Revolution stark.
Immer wieder wurden militärische Interventionen
kritisiert. Die der Vereinigten Staaten, Frankreichs,
Großbritanniens und Deutschlands im 19. Jahrhundert.
1966 drehte der Italiener Carlo LIZZANI
„Mögen sie in Frieden ruhen“. Kein geringer als
Pier Paolo PASOLINI spielte hier einen revolutionären
Priester im Kampf gegen ausländische Finanziers,
die die mexikanische Bundesregierung gegen
aufständische Bauern unterstützten.
Dem Umsturz gewidmet war auch „Der falsche General“
(Regie: Roberto ROSSELLINI, 1959) mit
Vittorio DE SICA in der Hauptrolle.
Zwar ging es hier nicht um den berühmten mexikanischen
Revolutionär Emiliano ZAPATA, der im älteren
politischen Film überstrapaziert und gegen alle
filmischen Regeln buchstäblich entkleidet wurde, aber
es ging im Aufstand, um Aufruhr, um einen
Revolutionsführer, der letztlich das Volk überzeugen kann,
gegen seine Herrschaft zu revoltieren.

Naiv und mit Metaphern übersät war auch
„Et viva la Revolution“ (Regie: Duccio TESSARI, 1971)
Dass ein russischer Emigrant die rauchenden
Worte spricht: „Vorher schwor ich auf den Zaren, jetzt
schwöre ich auf Henry Ford, meinen neuen Zaren“,
entbehrt nicht einer gewissen Komik, die sich auch
in ideologischen Schwächen äußerten, die einem
vordergründig zunächst nicht auffallen, weil versucht
wurde, der Wahrheit zumindest ein wenig nahe zu
kommen.
Missbraucht und aus dem Zusammenhang
gerissen waren weit entfernte Situationen und
politische Phänomene, wie z. B. die chinesische
Kulturrevolution.
Dass in „Todesmelodie“ (Regie: Sergio LEONE, 1970)
einleitend Mao TSETUNG zitiert wird, der einmal
sagte: „Die Revolution ist ein Akt der Gewalt im
Geiste des Volkes“, war vielleicht liebenswert
gemeint, aber nicht erträglich.

Neben der mexikanischen Revolution (der Antifaschismus
soll hier außen vor bleiben), war der spanische
Bürgerkrieg (Juli 1936-April 1939) beliebtes Ausflugsziel
der Filmemacher.
(Politische) Filme über die spanische Revolution
gibt es in Hülle und Fülle. Und auch Anspielungen.
In „Der Teufel kennt kein Halleluja“ (Regie:
Mario CAMUS, 1972) ging es um einen andalusischen
Großgrundbesitzer. Dieser beauftragt
Trinita (gespielt von Terence HILL), einen anarchistischen
Anführer zu ermorden.
Die Story ist wie viele verworren, abgefahren und
zusammengeschnitten. Der Film war auch zensiert.
Handelte es sich hier doch um ein wesentliches
politisches Thema: um die großen politischen Aufstände
der anarchistischen Bauern gegen die Großgrundbesitzer
Andalusiens zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Aber selbst diese Filmhelden waren irgendwelche
Abenteurer, die den heutigen in nichts nachstehen.
Außergewöhnlich war hier ein Statement eines
anarchistischen Theoretikers.
Unwillkürlich fühlt man sich an Klaus KINSKI erinnert,
der in „Doktor Schiwago“ (Regie: David LEAN, 1965)
einen Anarchisten spielte.

Die politischen Projekte dieses Filmgenres ließen
erstaunte Gesichter zurück.
„Wir wollen eine klassenlose Gesellschaft, ohne
Ausgebeutete und ohne Ausbeuter. Wir dürfen die
Ungerechtigkeit nicht länger hinnehmen, wir
müssen aufstehen und für Freiheit, Gerechtigkeit und
Würde kämpfen. Wir tragen eine neue Welt in unseren
Herzen... Wir sind es, die diese Paläste und Städte
bauen, hier in Spanien, in Amerika und überall.
Wir, die Arbeiter, können andere bauen, die ihren Platz
einnehmen, und bessere.“ (aus: „Der Teufel kennt kein
Halleluja“).
Hier kam eine Arbeiterbewegtheit auf, die sich selbst
zu Grabe trug und ihren eigenen Mythos bereits zu
ihren Lebzeiten verklärte. Der Politfilm, der später
in einem noch verstärkten Ausmaße sich der Arbeiterkultur
zuwenden sollte, hatte hier mangels anderer
Bezugsgrößen schon den Status einer Weltreligion
eingenommen.

Wenn es um Ideologiekritik ging, dann glaubte das
Politdrama über einen reinen und unschuldigen
Topos reden zu müssen.
Doch das Eintreten für die „große Sache“
(meistens der Sieg der Revolution, oder der Arbeitersache)
war nichts anderes als ein arroganter und dogmatischer
Stil, den man allerdings zur damaligen Zeit mangels
anderer gesellschaftlicher Alternativen nicht so recht
durchschauen vermochte.
Der Gegendiskurs blieb darauf beschränkt, die
Oberfläche der Ideologie zu navigieren, anzukratzen
und nicht theoretisch zu hinterfragen.
Der Standartsatz war, der „bürgerlichen Politik“ die
„proletarische kulturelle Sichtweise“ gegenüber zu
stellen. Damit war der Pranger geschaffen.
Und ein dementsprechendes genrespezifische Verfahren
mit symbolischer Oberfläche sollte sich bis in die jüngste
Zeit hinein halten.

Bereits weit vor Ken LOACH (Vgl. „Just a Kiss“, 2004) waren
die aller ersten Bilder sozialkritisch.
Die französischen Gebrüder LUMIERE drehten um
1895-1900 Streifen über die Lage der Arbeiterklasse
in Lyon.
Ungleichheit und soziales Elend mussten vor der
Kamera geschehen. Das eigentliche Debakel begann.
Man musste an Menschen herangehen, die völlig
indisponiert über ihre alltäglichen Anstrengungen
berichteten sollten, oder dabei gefilmt wurden.
Ignacio RAMONET bezeichnete das korrekterweise
mit „schminkende Inszenierung“ (vgl. Ignacio RAMONET:
„Liebesgrüsse aus Hollywood“, Zürich 2002, S. 221).
Trickreiche Fiktionen wurden erst später erfunden,
um die Massen abzulenken, oder zu „entfremden“,
wie die Sprachregelung der Politfilmer lautete.

Mit VIGO, BUNUEL, RENOIR und EPSTEIN wurde dem
französische Avantgardefilm „soziales Bewusstsein“
verpasst.
Die französische Volksfront (Mai 1936-April 1938) füllte
gleich ganze Arsenale.
Jean RENOIR drehte „Das Leben gehört uns“ (1936).
Hier war der Altkommunist Maurice THOREZ
sogar Filmheld.
Der VII. Parteikongress, der vom 22. bis 25. Januar
1936 in Villeurbanne tagte, wurde unter dem
Titel „Eine Politik französischer Grandeur“ abgefilmt.
Es war haarsträubend, was der große RENOIR
sich hier herausnahm.
Vergleicht man die Originalrede (siehe auch:
Maurice THOREZ, Ausgewählte Reden und Schriften
1933-1960, Berlin (Ost) 1962), dann versteht man,
was heute als Gegenpropaganda verstanden wird.
Politische Enthüllungen, die zu jeder Zeit das Salz
in der Suppe des politischen Films sein sollten,
erstarrte in der Komposition der Kommunistischen
Partei.
Auch „Die Marseillaise“ (1936) wurde von RENOIR
gedreht.
Die Revolution von 1789 war gemäßigt dargestellt.
Im wesentlichen eine Parteisache, wenn man sich die
Biografie von RENOIR vor Augen hält.
Kritik am Film schien verpönt, der Heldenmut war
das Volk selbst. Und wer sollte schon daran
zweifeln wollen?
Die französische Volksfront konnte durchaus als
Spielfeld für politische Filmemacher jeglicher
Couleur bezeichnet werden.

Mit dem französischen Mai 1969 und mit
GODARD (vgl. meine Kritik: „Der Manchurian-Kandidat“),
setzte sich in diesem Medium der soziale
Konfliktstoff weiter fort.
Die Offensive konzentrierte sich soziale Missstände
in der Arbeitswelt, dem Streik als Höhepunkt.
Das faszinierte Filmemacher und Publikum gleichermaßen.
Mit der Handkamera machte man sich zu den Orten
des Geschehens auf.
Der Streik wurde gefilmt, das Geschehen wirklichkeitsnahe
rübergebracht.
Und wie heute, wenn Opel streikt, waren auch die
Agitatoren zur Stelle, die mir nicht, dir nichts, die
Arbeiterschaft mit Durchhalteparolen versorgten.
Arbeiter in Revolutionspose: das machte sich schon immer
gut.
Und so entstand der einflussreiche Film
„Die Stunde der Hochöfen“ (Regie: Fernando SOLANAS/
Octavio GETINO, 1968).
Das Kino war hier eine verzahnte Angelegenheit.
Soziale Kämpfe und Streikaktionen waren von nun an
nicht mehr wegzudenken.
In Deutschland wurde in Anlehnung an SOLANAS/
GETINO „Rote Fahnen sind man besser“
(Regie: Rolf SCHÜBEL, 1971) produziert, bevor
WALLRAFF-Filme, Pierburg, Ford in Köln und andere
in die Kinos kamen.

Fabrikbesetzung und anschließende Diskussion
standen den Nietenstreifen und der geleckten
Atmosphäre in den Vorstandsetagen gegenüber.
Mit diesem Aggressionsüberschuss konnte auch
der in Italien gedrehte Film „Appolon“
(Regie: Ugo GREGORETTI, 1969) für Furore
sorgen.
Eine besetzte Fabrik, von orthodoxen Kommunisten
und Marxisten-Leninisten geführt, stand im Mittelpunkt
einer zwölfmonatigen Auseinandersetzung.
Arbeiter spielten sich hier selbst und hofften darauf,
dass sich ihre „berechtigen Klassenforderungen“,
wie es im Film hieß, durchsetzen lassen.
Mit Betriebszeitungen und Flugblättern wurden
Forderungen verbreitet, Informationen weitergegeben,
zu Versammlungen aufgerufen, zu Komiteegründungen
aufgerufen und Wahrheiten verbreitet, die dann doch
keine waren, weil sie in dem Augenblick bereits von
anderen abgelöst worden waren.
Auf diese Weise kamen Zehntausende von Personen
mit den Vorfällen in Berührung.

„Das Salz der Erde“ Regie: Herbert BIBERMANN (1953)
ging auf einen wirklichen Streik zurück, der sich 1950 in
Silver-City ereignet hatte. Er kann als absoluter
Klassiker bezeichnet werden, und hat mit den heutigen
gekünstelten Politdramen nicht im entferntesten
etwas zu tun, oftmals kopiert, aber nie erreicht.
Vielleicht hatte noch „Sterben für Madrid“
(Regie: Frederic ROSSIF, 1963) eine ähnliche Aussage
parat. Als Untergrundfilm wurde er zeitweise sehr
hoch gehandelt, was sicherlich an der
Unerschrockenheit seiner Protagonisten lag, die auch
in der Regel mit aussagekräftigem oder
unveröffentlichten Aufnahmen aufwarteten.

Heute wirkt der Politfilm, der mit den eigentlichen
Ursprungsfilmen rein gar nichts mehr zu tun hat,
blass und eintönig, amerikanisch eingefärbt und er
versucht, mit aufgesetzter Härte aufzuwarten.
Es gibt zahlreiche Beispiele an denen das belegt
werden kann.
So sind „Die Tage des Condors“ (Regie:
Sydney POLLACK, 1974) wie „I wie Ikarus“
(Regie: Henri VERNEUIL, 1979) Beispiele
für die Überschätzung des vermeintlichen Einfluss,
den sie erreichen wollen. Zwar in der Regel
spannend gemacht, treten sie mit politischen
Verletzungen innerhalb des gesellschaftlichen
Systems an und wollen zerbrochene Hoffnungen
wieder kitten und/oder Träume verwirklichen.
Die Crux liegt im Widerspruch. Und der
Widerspruch ist das (politische) Experiment.
Zu meinen also, dass sich alles wieder zum besseren
kehren kann, wie es Michael MOORE auf seine
Fahnen schreibt.
So sieht man sich immer wiederkehrenden
Maulwurfsarbeiten an.

Ob es sich dabei um das „China-Syndrom“
(Regie: James BRIDGES, 1978) oder um
„Im Namen des Vaters“ (Regie: Jim SHERIDAN, 1993).
handelt.
Sie alle gleichen dem „Manchurian-Kandidaten“.
Man braucht nur noch seine Stimme an der
Wahlurne abzugeben. Der freie Mensch im Spielball
der unsichtbaren Mächte.
Denzel WASHINGTON, der männliche Politaktivist,
der keiner sein will und doch einer ist, weil er ständig
in die politische Praxis des Staates eingreift
und wie ein Unschuldslamm zu verstehen gibt,
das nicht sein kann, was nicht sein darf.
So inszeniert man leichtgläubige Schizophrenie.
1992 drehten Uwe BOLL/Frank LUSTIG:
„Uwe Barschel-Mord in Genf“.
Die Geschichte vom toten BARSCHEL war eine
klägliche Vorstellung, weil eine Beweisführung um den
tatsächlichen Tod an den Beweisen, die von vornherein
nicht aufzufinden waren, scheitern musste.
Der damalige Spruch, der aufkam „Meine Badewanne
gehört mir“, musste wie ein Schock auf die Filmemacher
gewirkt haben, weil sie doch vorgaben, fein säuberlich
recherchiert zu haben.

Fazit: Der politische Film, das Drama, der Thriller
will das politisch Extreme anprangern, die
gesellschaftlichen Verhältnisse kritisieren, richtig
stellen, verweisen, mit der Nase drauf stoßen,
Bewusstsein schaffen und in gewisser Weise
agitieren.
Er scheitert heute nicht nur an seinen Anleihen,
die ihm den Weg versperren, sondern einmal mehr
an seiner gestreuten Hoffnung auf eine einsichtige
Politik vers. Gesellschaft.
In einer Epoche der globalisierenden
Marktverhältnisse ist ein gewisser Humanismus
zur Übersättigung sondergleichen geworden.
Es käme darauf an, gesellschaftliche Krisen
als das zu begreifen, was sie sind: Ausdruck
der kapitalistischen Geldmaschine.
Hier erst wäre der Punkt erreicht, der das derzeitige
politische Hollywood-Kino überflüssig macht.

Dietmar Kesten 20.11.04 16:13