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Wrong Turn

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Wrong Turn Dietmar Kesten 7.9.03 12:23

WRONG TURN

SCHWARZE SONNTAGE IM KINO

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 3. SEPTEMBER 2003.

In einem riesigen Wald wird durch eine Autopanne eine Gruppe
junger Leute dazu gezwungen, sich unfreiwillig selbst aus dieser
Misere zu befreien.
Was sie nicht ahnen: sie geraten in die Falle von Kannibalen, die
fortan nun alles daran setzen, sie in den Kochtopf zu bringen.
So trügerisch die Idylle auch erscheint, umso jäher zerplatzt sie.
Hinter jedem Baum, in jeder Hütte, jedem abschüssigen
Gelände und selbst in den Bäumen lauern die Gestalten, die
ihnen den Garaus machen wollen.
ROB SCHMIDT hat einen Horror-Slasherfilm gemacht, der von
mutierten Menschenmonstern handelt und nichts bleibt im
Ungewissen.
Die Panik, welche die Gruppe ergreift, hat eindeutige Ursachen: es ist
das Böse, ein ekliges Gesicht.
Das erste Bild ist schon das blanke Entsetzen, und es erreicht,
dass es sich bis zum Plot ins ekelerregende steigert. Zusätzlich
beherrscht eine Atmosphäre diese Szenerie, die mit dosierten
Schockelementen für die berühmten kurzzeitigen Herzstillstände
sorgen.
Horror bis zum Abwinken!!

Die Rückkehr der Totgeglaubten beschert uns das Kino in diesen
Monaten. Bereits „Final Destiation“ und „The Ring“ (1) gaben Hinweise
darauf, dass die Horrorspektakel in diesem Jahr eine muntere
Auferstehung feiern würden. Demnächst wird mit „Identität“ (2) diese
Schockwelle fortgesetzt. Dort wird ein Motel zum Ort der Rat- und
Hilflosigkeit. (3)
Tatsächlich formiert sich zur Zeit eine ganze Phalanx dieser
Genreproduktionen, die mit einem stetigen Unterstrom dem Kinobesucher
apokalyptische Bilder und Gemetzel zuführen, die die Materialität des
Bösen manifestieren sollen. Und jeder Auftritt dieser Serienkiller
hat beängstigende Nähe zu jenen Attentätern, die bei Schulmassakern
oder als Heckenschützen unschuldige Menschen massakrieren.
Diese Schlachtgemälde, in denen postmodernistisch gemetzelt werden
darf, verdunkeln in der Zwischenzeit unseren Horizont so drastisch, dass
sie als typische Verfallserscheinungen der Konsumgesellschaft begriffen
werden müssen, in denen ‚Kollateralschäden’ wie im Genre des Horrors
Gang und gebe sind.

Filme, in denen Verzweifelung pur und endzeitliche Vorahnung todernst
dargestellt werden, markieren den neuen ‚schmutzigen’ Krieg, der
schon fast über die Genregrenzen hinweg auffallende Zeitlose Züge
trägt.
Sie fallen deshalb auf, weil sie in jeder Einstellung an die lauen
Fernsehabende erinnern, wo zur späten Stunde längst die Endzeit
eingeläutet wurde, und die Auftritte der Killer zwischen Werbung und
Chips minutiös zelebriert werden.
Dort, wo der Tod schon längst unterfüttert wurde und als vorbeihuschendes
Bühnenbild bereits von einem anderen abgelöst wurde, versucht das
Horrorspektakel Fuß zu fassen, indem wir durch Schlamm, Blut,
Schädel und massakrierter Körper geführt werden, die den Eindruck
vermitteln als befinden wir uns auf einem mittelalterlichen Kreuzzug.

Die Unmittelbarkeit dieser Bilder, die zwar nur Effekte sind und ihre
Fortgeschrittenheit aus den digitalen Tricks ziehen, sind jedoch von
einer Modrigkeit sonders gleichen durchdrungen, dass einem im Kino
schlecht wird.
In diesem Kino kann man locker an die erprobten Formen der
Irak-Berichterstattung denken, an Folter und Mord, wo der geschundene
Körper selbst noch im Tod für die Schurken eine Art Beweislast
darstellt, die vernichtet werden muss.
Die Erzählungen vom Schrecken und den dazu mitgelieferten Bildern
erzeugen jenes umfassende Unbehagen, die man in einer deformierten
Wirklichkeit nicht einmal in den täglichen Nachrichten vergebens
sucht.
Lange Mäntel, besudelte Gestalten mit Killerfratzen haben schon
längst nichts mehr Subversives an sich.

Wenn eine Wirtschaftsordnung Risse bekommt, ins Wanken
gerät oder zusammenbricht, erhebt sich auch unweigerlich der
Nebel von soziokulturellen Zeichen, in denen sich Besorgnis,
Ratlosigkeit und Angst, die Nutznießer dieser Ordnung, breit macht.
Groß ist dann die Versuchung, dunkle Kräfte, geheime Mächte,
Magie und Irrationalität einzubringen, die zudem für eine
beträchtliche Unruhe sorgen.
Diese Affinität ist stringent dem modernen Staat entlehnt und
erreicht uns durch eine Vielzahl magischer Erklärung seiner
Politik in allen unseren Lebensbereichen.
Der Horror der Ökonomie, der uns jetzt trifft, ist dann auch
spiegelbildlich der Horror im Kino.

Leben wir mit dem Schrecken im Kino? Leben wir mit dem
Schrecken in der Gesellschaft? Zwar hat der Horror
Filmgeschichtlich das genau begriffen, doch es reicht schon
lange nicht mehr monströse Kreaturen auferstehen zu lassen,
die noch zusätzlich aus der alltäglichen Not Kapital schlagen
wollen.
„Wrong Turn“ mit seinen Schockelementen kanalisiert die
Ängste und wirkt trotz Happy End wie ein langer Alptraum, der
nie beendet wird.
Angst berührt die Menschen seit Generationen. Der Horrorfilm,
der Todestrieb im Kino, ist eben keine privilegierte Erzählform
mehr. Worum sich die Medien bemühen, den Zuschauer
täglich mit Horrormeldungen zu bombardieren, hat nun auch
in abgewandelter Form den Kinobesucher erfasst.
In einer sorgenvollen Zeit sollte Hollywood mehr Hoffnung
schaffen, anstatt permanent Träume und Alpträume
zu fabrizieren.

Anmerkungen:

(1) Siehe auch Final Destination, Teil I, 2000, Regie James Wrong,
Final Destination II, 2003, Regie: R. Ellis.
The Ring, 2003, Regie: Gore Verbinski.

(2) Identität, 2003, Regie: James Mangold.

(3) Der Film wird an jenen Norman Bates (gespielt von Anthony Perkins)
erinnern, der bereits in Psycho (1982) sein Unwesen trieb.
Wer sich aber trotzdem auf Horror einlassen will, dem sei
Resident Evil (2002) empfohlen. Im übrigen kommt der Horror auch
ohne eine einzige Klappergestalt und ohne Mord aus.
Für Spannung hatte seinerzeit der Film Blair Witch Projekt (1999)
gesorgt, der auch heute noch zu empfehlen ist.

Dietmar Kesten 7.9.03 12:23